Im Westen nichts Neues: in Kriegsfilmen nichts Neues?

Künstler-Postkarte ,,Frontbilder 1918”, Elk Eber (Public Domain über Wikimedia Commons)

Es kann wie eine Selbstverständlichkeit wirken, dass im Westen nichts Neues eigentlich nichts Neues ist. Schließlich ist es eine Neuverfilmung einer Neuverfilmung von Erich Maria Remarques Roman ,,Im Westen nichts Neues.” In seinem 1928 erschienenen Roman erzählt Remarque von seinem persönlichen Erlebnis im ersten Weltkrieg. Er beschreibt seine Angst und seine Schuld, und schildert darin die Erfahrungen der deutschen Soldaten. Auf diese Art und Weise übt er eine markante Kritik der Kriegsmaschine.

Von den ersten Szenen an ist dieselbe Kritik in Bergers 2022 erschienener Adaption auffallend: Er macht auf die Sinnlosigkeit des Krieges durch die Metapher der Uniform eines anonymen Soldaten aufmerksam. Wir sehen sie sauber, in den Gräben, vom Blut des gewaltsam getöteten Soldaten befleckt, mit hunderten anderen Uniformen gewaschen, deren Besitzer das gleiche Schicksal ereilten, und dann in den Händen des Protagonisten, Paul Bäumer, der das Namensetikett des ehemaligen Besitzers ahnungslos bemerkt. Ab diesem Moment ist diese morbide Todesahnung unausweichlich und total erdrückend. Im Verlauf des Filmes folgen wir Paul Bäumers Leben, nachdem er sich als begeisterter 18-Jähriger in einem nationalistischen Eifer freiwillig für den Krieg meldete. Wir verfolgen seine Freundschaften, wir erleben seine Angst, seine Traurigkeit und, am Ende, seine Gefühllosigkeit. Durch seine Augen verstehen wir die überwältigende Sinnlosigkeit des Krieges, in all seiner erschreckenden Gewalt.

Es ist vielleicht zu erwarten, dass Im Westen nichts Neues mit 1917 von Sam Mendes oder mit Saving Private Ryan von Steven Spielberg verglichen wird. Bergers schwungvolle Weitwinkelaufnahmen der apokalyptischen Schlachtszenen teilen wohl Gemeinsamkeiten mit 1917, genauso wie man Parallelen zwischen Volker Bertelmanns kargem, aber eindringlichem Soundtrack und dem ähnlich minimalistischen Soundtrack von 1917 ziehen kann. Als Folge davon halten viele Kritiker, besonders in der englischen Medienwelt, Im Westen nichts Neues für nichts Neues oder Innovativeres. Das kann jedoch als überraschend erscheinen, angesichts der Tatsache, dass der Film für erstaunliche neun Oscars nominiert wurde, darunter ,Best Picture’ und ,Best International Feature.’

Was diese Kritiker jedoch außer Acht lassen, ist die einzigartige Perspektive, die Berger in seinem Film darstellt. Sie schauen Im Westen nichts Neues aus der englischen Perspektive an. Sie sehen nur die Kriegsszenen, Blut und Gewalt, die im Vergleich zu Mendes 1917 augenscheinlich nicht so meisterhaft gemacht sind. Sie ziehen aber nicht in Betracht, dass Berger etwas erreicht hat, das niemals in der mainstream Kino-Geschichte erreicht wurde: Er stellt den ersten Weltkrieg aus der deutschen Perspektive dar und gibt eine persönliche Note einer Gruppe, die fast immer als eine gesichtslose Masse in der Kriegsgeschichte gesehen wird. Dabei versucht er weder den Krieg zu rechtfertigen, noch zu verherrlichen. Über den ganzen Film hinweg ist es tatsächlich auffallend, dass Paul auf keinem Fall als ein Held dargestellt wird. Wir kommen ins Mitfühlen mit seiner Figur, portraitiert als junger Mann und hineingestoßen in die grausamste Situation. Jedoch werden wir auch Zeuge sowohl seiner eigenen erschreckenden Brutalität als auch der Gewalt, die er durch die Franzosen erleidet. Keine der beiden Seiten ist unschuldig.

Diese Personifizierung des deutschen Heeres ist von besonderer Bedeutung, wenn man den kulturellen Einfluss in Betracht zieht, den Kriegsfilme auf die heutige Gesellschaft ausgeübt haben. Auf den ersten Blick scheint dieser Einfluss oberflächlich und minimal, da Kriegsfilme nur Dramatisierungen historischer Ereignisse sind, fiktionale Werke zum Vergnügen eines modernen Publikums, nicht wahr? Das Problem tritt erst auf, wenn die Geschichte lediglich von einer Perspektive erzählt wird— das Ergebnis sind Stereotypen und Missverständnisse. Die Folgewirkungen dieser Einseitigkeit sind heutzutage immer noch vorherrschend. Denken Sie an das angebliche Klischee der deutschen Sprache: sie ist scharf, bellend, wütend und hässlich, und aus diesem Grund studieren weniger Leute Deutsch als Fremdsprache. Diejenigen, die diese Sprache studiert haben, wissen, dass dies keineswegs der Fall ist. Also woher rührt dieser Stereotyp? Kriegsfilme. Die Bedeutung dieser Filme ist daher nicht zu unterschätzen, da sie interkulturelle Verständnisse und Begegnungen beeinflussen.

Diese geschichtsorientierten Filmen spielen auch eine wichtige Rolle in der deutschen Kinoszene. Zu den berühmtesten Filmen zählen Das Leben der Anderen von Florian Henckel von Donnersmarck und Goodbye Lenin von Wolfgang Becker. Obwohl diese zwei Filme in vielerlei Hinsicht fantastisch und faszinierend sind, tragen sie auch zu einer Sensationsgier innerhalb der deutschen Kultur bei: Was sie schildern, stellt die tatsächlich gelebten Erfahrungen der Gesamtbevölkerung nicht dar und hilft dabei Stereotypen der deutschen Vergangenheit zu fördern. In den letzten Jahren hat sich die deutsche Filmindustrie von diesen historisierenden Filmen entfernt, um die Vorstellung eines Deutschlands zu negieren, das noch immer in seiner Vergangenheit gefangen ist.

Als ein unvermeidlich und zutiefst historischer Film steht Im Westen nichts Neues wohl im Gegensatz zu dieser zukunftsorientierten Tendenz im deutschen Film. Berger wählt jedoch einen neuen Ansatz, vertritt eine neue Perspektive und bringt dabei frischen Wind in dieses Filmgenre. Vielleicht ist es hier im Westen nichts Neues, aber in Kriegsfilmen ist es bestimmt was Neues.

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